Australien - Sonnenfinsternis

2012

Mond vor Sonne

Wie die australische Kleinstadt Cairns am Great Barrier Reef ihre fast private Sonnenfinsternis feierte.

 

In den Cafés an der Esplanade bezog man am 14. November ab 5 Uhr morgens die reservierten Frühstücksplätze. Eine totale Sonnenfinsternis stand zwischen 6.38 und 6.40 Uhr bevor – und Cairns (Provinz Queensland), 150.000 Einwohner, war diesmal die größte Stadt im Beobachtungsbereich. Zumal die einzig nennenswerte: In Australiens Norden, wo der Kernschatten erstmals die Erde traf, liegt keine größere Menschensiedlung, hinter Cairns sollte das Spektakel über das Korallenmeer im Pazifik verschwinden, ohne Inselberührung, um sich 14.500 Kilometer später vor der Küste Chiles aufzulösen.
Die Küstenstadt Cairns und ihre 2:07 Minuten globalen Ruhms, in Zahlen ausgedrückt: ein 75-Millionen-Australiendollar-Boost durch 60.000 Besucher, die wegen der wenigen Sekunden nach Down Under reisten, in denen sich der Mond zwischen Erde und Sonne schiebt. In den letzten Tagen gab es keine Flugtickets in den Nordosten mehr, Eclipse-Freaks trieben ihre Leihwägen tausende Kilometer über den Kontinent. Sie stiegen in Heißluftballone, erklommen Berggipfel, schaukelten auf Kreuzfahrtsschiffen und Yachten. Das Touristendorf Port Douglas nebenan veranstaltete einen „Solar Eclipse Marathon“, bei dem einige Promis der internationalen Laufcrowd kurzfristig nannten, nachdem Sandy den New Yorker Marathon verblasen hatte.
Finsternisgäste und Amateurastronomen fielen wie Hamster über die Supermärkte zwischen Bloomfield und Innisfail her. In den Regalen für Mineralwasser und Dosenprodukte klafften bald beachtliche Lücken. Hauptproblem: Der desaströse Wetterbericht. Ein Puzzle dicker Tropenwolken überflog die Region. Die Unsicherheit ließ Aficionados mit blanken Nerven in Kleinbussen dem Loch in der Wolkendecke nachrasen. Cairns schien erneut ein Match gegen die rivalisierende Stadt Townsville, 280 Kilometer südlich, zu verlieren. Diese bot zwar nur 96%, also eine partielle Sonnenfinsternis, hatte aber die perfekte Wetterprognose.
Ungleich jener der internationalen Wolkengambler hielt sich die Leidenschaft der Einheimischen in Grenzen. Das mochte daran liegen, dass sich der Himmel in Melbourne, Canberra oder Sydney nur unwesentlich verdunkelte. Die großen australischen Medien berichteten einhellig kühl, in beinahe beleidigter Sachlichkeit. Wozu jetzt das Trara wegen ein paar verdunkelten Provinzorten, erlebt doch Sydney 2028 seine eigene Totale!
In der Gegend des Luxusstrands Palm Cove zeigte sich schließlich im entscheidenden Moment die Sonnenkorona – Glück gehabt. Aber in Cairns Innenstadt? Die Wolkenformation, die das Schauspiel verdeckte, ließ die Tausenden Fans an der Esplanade schier verzweifeln – doch dunkel wurde es allemal. Wie zur Entschädigung durfte man die Brillen aber letztlich doch auspacken. Exakt eine halbe Stunde nach den zwei Minuten bleierner Stille und indigofarbener Totalität gab das Wolkenungetüm den Blick auf ein hübsches Sonnenkipferl frei. Applaus brandete auf. Und von da an knallte die Sonne böse und gnadenlos auf die Kleinstadt, wie um zu zeigen, sie schaffe das locker.